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Offener Brief an den Verkehrsausschuss des Verbandes Region Stuttgart (VRS)

An

  • VRS, Vorsitzender Thomas S. Bopp (MdL)
  • VRS, Regionaldirektorin Jeanette Wopperer
  • VRS, Dr. Jürgen Wurmthaler
  • Regionalversammlung, Fraktionen
  • VRS Verkehrsausschuss
  • Landräte, Region Stuttgart

S-Bahn-Behinderungen durch Planungsmängel bei Stuttgart 21

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 7. Juli 2010 soll der Verkehrsausschuss des Verbandes Region Stuttgart (VRS) über weitere Verbesserungen im Stuttgarter S-Bahn-Netz beraten, insbesondere über mögliche Ausweitungen des attraktiven 15-Minuten-Taktes.

Wie Sie Medienberichten entnehmen konnten, sind aufgrund von mangelhaften Planungen der Deutschen Bahn (DB) bei Bauarbeiten im Rahmen des Projektes „Stuttgart 21“ inzwischen die infrastrukturellen Voraussetzungen für den 15-Minuten-Takt der S-Bahn entfallen.

Stuttgart 21 hat den S-Bahn-Takt und damit das Rückgrat des Öffentlichen Verkehrs im Großraum Stuttgart bereits so zerstört, dass weitere Verbesserungen beim S-Bahnbetrieb zwar notwendig, aber unter den aktuellen Voraussetzungen kaum realistisch sind.

Als Aufgabenträger für die S-Bahn finanziert der VRS das Projekt Stuttgart 21 in Höhe von 100 Mio. € mit. Als Umwelt- und Verbraucherverband setzt sich der VCD für die Interessen der Stuttgarter Fahrgäste ein und fordert deshalb von Ihnen als VRS-Vertreter bzw. VRS-Vertreterin:

  • Wiederherstellung des vor dem 2. Februar.2010 gültigen S-Bahn-Fahrplans in der vertraglichen Qualität
  • Baustopp für Stuttgart 21 zur Vermeidung weiterer Beschädigungen der Eisenbahn-Infrastruktur im Raum Stuttgart
  • Überprüfung der Pläne für Stuttgart 21 durch unabhängige Ingenieure von Institutionen, die bislang nicht in die Planung und Begutachtung von Stuttgart 21 involviert waren.

Der VCD begründet diese Forderungen wie folgt:

Die S-Bahn Stuttgart hat in der Vergangenheit von den Fahrgästen durchweg gute Noten erhalten (siehe VRS-Zeitschrift Aktuell 2/2010). Als problematisch galt jedoch schon bisher die Unpünktlichkeit in der Hauptverkehrszeit während des 15-Minuten-Taktes.

Am 2. Februar .2010 begannen offiziell die Bauarbeiten zur Modernisierung des Bahnknotens Stuttgart, dazu gehören Änderungen an der S-Bahn-Tunnelrampe am Hauptbahnhof. Zuletzt wurde die bisher zweigleisige Einfahrt in die unterirdische S-Bahnstation „Hauptbahnhof“ signaltechnisch umgebaut, wodurch ein neues Nadel­öhr im Schienennetz entstanden ist. Demnächst soll dieser Abschnitt auf eingleisigen Betrieb zurückgebaut werden, so dass die Leistungs­fähigkeit weiter eingeschränkt wird.

Die „normalen“ Verspätungen der S-Bahn in Verbindung mit diesen Bauarbeiten zu Stuttgart 21 haben nun das ausgeklügelte System komplett zum Einsturz gebracht. Der 15-Minuten-Takt durch den S-Bahn-Tunnel ist unter den gegebenen technischen Voraussetzungen nicht mehr fahrbar.

Inzwischen ist überdeutlich, dass das „am besten geplante Bahnprojekt“ die Leistungs­fähigkeit der Stuttgarter S-Bahn drastisch reduziert hat. Eine Lösung ist derzeit nicht erkennbar. Die Operation am offenen „Herzen Europas“ ist gründlich misslungen.

Auch der Umbau des Gleisvorfeldes verläuft nicht planmäßig. Nach Medienberichten sind schon mehrmonatige Verzögerungen eingetreten, insbesondere durch nicht termingerechte Abgabe der Grundpläne durch DB Projektbau. Offensichtlich finden die Arbeiten dort unter einem solchen Zeitdruck statt, dass man die betrieblichen Belange nicht ausreichend untersucht hat.

Aufgrund der in so kurzer Zeit seit Baubeginn aufgetretenen Mängel in der Planung müssen die weiteren Planungsschritte aus VCD-Sicht zwingend von unabhängigen und sachverständigen Dritten untersucht werden, mit einem besonderen Augenmerk auf die Betriebsabwicklung. Da schon in der Vergangenheit beim Projekt Stuttgart 21 die Erfinder des Projektes später ihre eigenen Vorschläge begutachtet haben1, ist sicher zu stellen, dass mit der Prüfung tatsächlich nur unabhängige, also weder direkt noch indirekt am Projekt beteiligte, Dritte mit der Prüfung betraut werden.

Darüber hinaus sollte der VRS beim EBA einen Antrag auf Prüfung stellen, ob überhaupt eine Chance auf eine neue Ausnahmegenehmigung unter heutigen Standards bestehen würde. Und es ist aus unserer Sicht zu prüfen, ob die jetzigen Probleme mit der zur Zeit im Bahnhof vorhandenen Stell­werks­technik (Druck­tasten­stellwerk) überhaupt bewältigt werden können.

Wenn nicht, steht die Frage im Raum, wer die Kosten für die eventuelle Stell­werks­modernisierung, die Folgekosten bei der S-Bahn sowie die Entschädigungen für die Fahrgäste trägt.

Der VRS sollte zweifelsfrei klären, ob die jetzige Einschränkung in der Leistungs­fähigkei t ein dauerhafter Zustand ist, der auch über den Bau von Stuttgart 21 hinaus bestehen wird. In diesem Zusammenhang muss noch folgender Sachverhalt berücksichtigt werden:

Aus einem Papier des Landes Baden-Württemberg, welches die Ergebnisse eines Gutachtens zum Nahverkehrskonzept für 20202 zusammenfasst, geht hervor, dass mit dem Projekt Stuttgart 21 Fahrzeitverlängerungen durch den Halt im Bahnhof Mittnachtstraße entstehen, die Auswirkungen auf das Gesamtsystem der S-Bahn haben. Die Folgen sind bis heute nicht untersucht, vielmehr seien „durch den VRS … in Abstimmung mit der Bahn und dem Land“ Lösungen aufzuarbeiten. Es ist aus Sicht des VCD unverantwortlich, dass nach über 16 Jahren diese Lösungen noch nicht von DB Projektbau dargelegt wurden.

Diese Auswirkungen bzw. Lösungsvorschläge sollten ebenfalls jetzt von unab­hängigen Dritten unter Berücksichtigung der aktuellen Problemen untersucht werden.

Das Land Baden-Württemberg, als Auftraggeberin dieses Gutachtens unter Mit­wirkung von SMA und Partner, sowie der Universität Stuttgart (Prof. Dr. Martin), sollte diese Studie nun endlich offenlegen.

Im Interesse der Fahrgäste und Einwohner der Region steht der VRS als Auf­gaben­träger für die S-Bahn in der Pflicht, die Funktionsfähigkeit der S-Bahn sicher zu stellen. Die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit von DB Projektbau bzw. der Verantwortlichen bei der DB für Stuttgart 21 ist bereits erheblich erschüttert, so dass aus VCD-Sicht die Zusammenarbeit zwischen VRS und DB ernsthaft zu über­prüfen ist.

Mit freundlichem Gruß

Matthias Lieb

- Vorsitzender -

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