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Sie sind hier: VCD Landesverband Baden-Württemberg e.V.ThemenStuttgart 21Kopfbahnhof 21Ökologie

Keine Eingriffe bei Wasser, Klima und Biotopen

Stuttgarts einzigartige Lage im Talkessel hat ihren Preis: Auch aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte müssen die ökologischen Folgen ehrgeiziger Großprojekte stärker als andernorts geprüft und abgewogen werden. Um die Lebensqualität in der Stadt zu erhalten, muss entsprechend sensibel mit den natürlichen Schutzgütern um gegangen werden.

Die bei Stuttgart 21 vorgesehene intensive Bebauung trägt zum Aufheizen des Stadtklimas bei und behindert den notwendigen Luftaustausch. Durch die vielen Tunnelbauten bei Stuttgart 21 (insgesamt 35 km) kommt es zu Grundwasserabsenkungen und zur Gefährdung der Mineralwasservorkommen. Die Tieferlegung der Bahnanlagen bedingt auch einen Verlust von wertvollen Biotopflächen und einen Kahlschlag im Stuttgarter Schlossgarten.

Beim Alternativkonzept Kopfbahnhof 21 entfallen diese Eingriffe ganz oder treten nur in sehr geringem Umfang auf. Dies wird vom Regierungspräsidium Stuttgart und vom Eisenbahnbundesamt offen eingestanden.

Einzigartiger Schatz: das Stuttgarter Mineralwasser

Stuttgart besitzt nach Budapest das größte Mineralwasservorkommen in Mitteleuropa. Dies ist ein einzigartiger und nicht ersetzbarer Naturschatz von internationaler Bedeutung bzw. Verantwortung. Durch Stuttgart 21 sind die Quellschüttungen der drei Stuttgarter Mineralbäder, insbesondere Mineralbad Berg, gefährdet. Als vor wenigen Jahren der Stuttgarter Talkessel vom Regierungspräsidium als Heilquellenschutzgebiet ausgewiesen wurde, wurden merkwürdigerweise gerade diejenigen Flächen von dem strengen Schutzstatus ausgenommen, die für die Stuttgart-21-Baumaßnahmen benötigt werden.

Fakt ist jedoch, dass es bei Stuttgart 21 zu Eingriffen in die schützenden geologischen Deckschichten kommt, die sich über den Mineralwasservorkommen befinden. Die Fundamente des geplanten Tiefbahnhofes und des Bahntunnels unter dem Neckar bei Wangen greifen jedoch in diese sensiblen Schichten ein. Es besteht die Gefahr, dass Mineralwasser austritt und die Quellen der Mineralbäder versiegen.

Die bisher vorliegenden Gutachten können ein Restrisiko für die Gefährdung der Mineralwasservorkommen nicht ausschließen. Da die Geologie im Stuttgarter Talgrund auf wenigen Metern sehr stark wechselt, kann selbst ein umfangreiches Bohrprogramm keine hinreichend Sicherheit garantieren. Sollte ein solcher „Mineralwasser- GAU“ eintreten, sind die Folgen ähnlich wie bei einem Atomunfall nur schwer kontrollierbar, geschweige rückholbar, da das ganze Stuttgarter Mineralwassersystem sehr komplex und nicht zugänglich ist.

Man kann bei Tunnelbauten vor bösen Überraschungen nie sicher sein – siehe zum Beispiel beim Bau des Stadtbahntunnels unter dem Hauptbahnfriedhof bei Stuttgart- Neugereut vor wenigen Jahren. Trotz umfangreicher Probebohrungen kam es zu erheblichen Problemen bei der tatsächlichen Bauausführung, welche die Baukosten um 30 Prozent in die Höhe trieben.

Bei Kopfbahnhof 21 kommt es zu erheblich geringeren Eingriffen beim Mineralwasser. Die Eingriffe im Schlossgartenbereich entfallen ganz. Lediglich für die Gründung einer neuen Bahnbrücke über den Neckar bei Bad Cannstatt kommt man in den mineralwasser-sensiblen Bereich. Diese Brücke ist jedoch auch bei Stuttgart 21 notwendig.

Klimaanlage Gleisfeld

Der Stuttgarter Talkessel wirkt wie eine Wärmefalle. Wegen der vielen versiegelten Flächen und der dichten Bebauung heizt sich die Innenstadt besonders in den Sommertagen kräftig auf. Die in den Gebäuden und Straßen gespeicherte Wärme wird nachts nicht völlig abgegeben. Damit steigt die Temperatur in der Stadt Tag für Tag weiter an. Die globale Klimaerwärmung tut ein übriges, diese Entwicklung zu befördern.

Die Folge ist eine Zunahme des Wärmestresses. Bemerkbar macht sich dies unter anderem in Herz-Kreislauf-Versagen. Im Jahrhundertsommer 2003 ist die Mortalitätsrate in Großstädten durch Wärmestress rapide gestiegen. Insbesondere für die immer größer werdende Zahl älterer Menschen wird die Stuttgarter Innenstadt zu einem unzumutbaren Backofen.

Untersuchungen haben ergeben, dass die ca. 100 Hektar großen Stuttgarter Hauptbahnhof-Gleisflächen wichtige klimatische Ausgleichsfunktionen erfüllen.

Die rechts abgebildete Infrarot-Aufnahme zeigt die Oberflächentemperatur in der Stuttgarter Innenstadt nach der Abkühlung während einer klaren Sommernacht. Die Farbabstufung von Rot (=warm) nach Blau (=kalt) zeigt die Verteilung der nächtlichen Abkühlung. Die unversiegelten Gleisflächen kühlen sich in der Nacht schneller ab und führen so auch der angrenzenden Innenstadt frische Luft zu. So erstaunlich das klingt, die Gleisanlagen wirken sich wohltuend auf das Stuttgarter Kesselklima aus.

Bei Stuttgart 21 sollen alle oberirdischen Gleisflächen im Innenstadtbereich komplett entfallen und fast ausschließlich durch Gebäude und Straßenflächen aufgesiedelt werden. Dadurch geht die wertvolle Klimafunktion des jetzigen Bahn-Areals verloren.

Insbesondere die geplanten Hochhäuser und großen Baukörper (Galeria Ventuno) entlang der Wolframstraße behindern die nächtliche Frischluftzufuhr der Innenstadt.

Bei Kopfbahnhof 21 bleiben die heutigen Gleisflächen und damit die positiven Klimafunktionen erhalten. Aufgrund der wesentlich geringeren Kosten wäre der Verwertungsdruck auch auf das bereits zurückgebaute ehemalige Güterbahnhofareal (A1-Gelände) geringer. Man könnte dort wesentlich weniger dicht und hoch bauen.

Die (Gleis-)wüste lebt

Kaum zu glauben, aber die Stuttgarter Gleisanlagen sind zu einem wichtigen Lebensraum für viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten geworden. Katzenminze, Sandheuschrecke, Flussregenpfeifer, Feldhase sind nur einige von fast 700 Arten, die nachgewiesen wurden. Bezüglich des Artenschutzes hat das Stuttgarter Bahngelände eine überregionale Bedeutung. Die offenen Bahn- Schotterflächen stellen einen hervorragenden Ersatzlebensraum für die ehemaligen Schotterbänke und Kiesflächen entlang des damals noch unverbauten Neckars dar. Das Überleben der auf diese offenen Flächen hoch spezialisierten Arten kann nur gesichert werden, wenn die Bahngleise oberirdisch bleiben und nicht überbaut werden. Dies ist bei Kopfbahnhof 21 gegeben.

Bei Stuttgart 21 hingegen würden die weitläufigen Schotterflächen und Böschungen überbaut. Die darauf vorkommenden Arten würden unwiederbringlich verloren gehen, da es im Umfeld keine gleichwertigen Ersatzlebensräume gibt.

Der Schlossgarten – die grüne Oase

Durch den bei Stuttgart 21 geplanten neuen, um 90 Grad gedrehten Hauptbahnhof in Tieflage kommt es zu einem gewaltigen Kahlschlag im Stuttgarter Schlossgarten. Über 250 Großbäume müssen bei Baubeginn gefällt werden. Der Bereich zwischen Omnibusbahnhof und Planetarium muss komplett auf- und umgegraben werden. Da der Tiefbahnhof nur zum Teil in der Erde versenkt wird – unter anderem wegen der Mineralwassergefährdung – wird ein riesiger Querriegel die Zugänglichkeit des Oberen und Mittleren Schlossgartens behindern.

Da während der mindestens acht Jahre dauernden Bauzeit von Stuttgart 21 das Grundwasser im Schlossgarten abgesenkt werden muss, besteht die Gefahr, dass ein Großteil des Baumbestandes im gesamten Schlossgarten vertrocknet.

Die grüne Oase des Schlossgartens stellt für viele Stadtbewohner die einzige Naherholungsfläche dar. Zudem erfüllt der Baumbestand weitere vielfältige Funktionen wie Sauerstoffproduktion, Abkühlungsfläche, Bindung von Feinstaub und Lebensraum für zahlreiche Tierarten. Beim Konzept Kopfbahnhof 21 bleibt der Schlossgarten unangetastet und könnte im Zuge des Grünen Us zum Killesberg hinauf sogar wieder Flächen zurückbekommen, die ihm einst für die Bahnanlagen genommen wurden.

Gerhard Pfeifer