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Brief an die Mitglieder des Landtags von Baden-Württemberg: Schienenpersonenverkehr in Baden-Württemberg

Brief vom 6. Juli 2006 an die Mitglieder des Landtags von Baden-Württemberg zu den der Umsetzung der Kürzung der Regionalisierungsmittel in Baden-Württemberg

An die
Mitglieder des
Landtags von Baden-Württemberg
Stuttgart, 6. Juli 2006

Schienenpersonenverkehr in Baden-Württemberg

Umsetzung der Kürzung der Regionalisierungsmittel

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Kürzung der Mittel für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 2006, dem der Bundesrat am 16. Juni zugestimmt hat, wird drastische Auswirkungen für den in den vergangenen Jahren mit großem Erfolg ausgebauten 3-Löwen-Takt auf den Schienen des Landes haben. Bis zum Jahr 2010 werden dem SPNV in Baden-Württemberg damit über 340 Mio. EUR entzogen (vgl. Anlage 1). Eine Kürzung in diesem Umfang führt zwangsläufig zu Stilllegungen.

Das ÖPNV-Musterländle ist in Gefahr - Die Ausgangslage

Dem SPNV in Baden-Württemberg fehlen durch die Gesetzesänderung rund 70 Mio EUR jährlich. In den vergangenen Jahren war der Ausbau des SPNV eine Erfolgsgeschichte mit 50 Prozent Fahrgastzuwachs. Zum Fahrplanwechsel 2004/2005 wurden schon schwach ausgelastete Züge im Rahmen des Controllings gestrichen. Ein weiterer Eingriff in das Fahrplangefüge geht in die Substanz. Kürzungen nur am Wochenende würden zu einer Halbierung des Zugangebotes am Wochenende führen.

Die Alternative zu Fahrplanstreichungen ist eine Kürzung des mit der Deutschen Bahn AG vereinbarten Zugkilometer-Preises. Eine Reduktion um 0,81 EUR pro Zugkilometer ermöglichte die Umsetzung des heutigen Fahrplans mit 35 Mio. EUR weniger Einsatz und würde der DB AG nach wie vor einen Gewinn ermöglichen. Für die Fahrgäste könnten Kürzungen aber vermieden werden. Mittelfristig könnten verstärkte Ausschreibungen und die Zusammenlegung von Verkehrsverbünden weiter Kosten im ÖPNV senken. Eine weitere Steigerung der Fahrgastzahlen zur Senkung der Kosten muss weiter Ziel der Landespolitik sein, deshalb müssen übergangsweise und befristet – je nach Ausgang der Verhandlungen mit DB Regio – Mittel aus dem Mehrwertsteueraufkommen zur Zwischenfinanzierung der zukünftig möglichen Einsparungen eingesetzt werden.

Zugstreichungen und Streckenstilllegungen sind vermeidbar - Die VCD-Analyse

Seit der Regionalisierung des SPNV vor 10 Jahren konnten Dank einer zielgerichteten und vorausschauenden Politik die Fahrgastzahlen in Baden-Württemberg um 50 Prozent gesteigert, Bahnlinien saniert und Neufahrzeuge beschafft werden. Die früheren Klagen der Bevölkerung über ein unzureichendes Angebot bei Bus und Bahn sind in vielen Regionen verstummt. Bei steigenden Energiepreisen wurde die Nutzung von Bus und Bahn für viele Bürger Baden-Württembergs attraktiv.

Mit Interesse hat der Umwelt- und Verbraucherverband Verkehrsclub Deutschland (VCD) Landesverband Baden-Württemberg e.V. deshalb die bisherige Diskussion in den Landtagsfraktionen und die Äußerungen der Landespolitik zu diesem Thema verfolgt. Mit Landtagsdrucksache 13/4952 befürchtete die Landesregierung durch die Kürzungen Auswirkungen auf Umfang und Qualität des ÖPNV-Angebotes, welches die erzielten Erfolge in Frage stellen und den Fortbestand des integralen Taktfahrplans im SPNV gefährden würde.

Wir teilen diese Sorge in vollem Umfang und sehen in dem zwischen Bund und Ländern gefundenen Kompromiss (geringere Kürzung der Regionalisierungsmittel, dafür höhere Mehrwertsteueranteile für den Landeshaushalt) einen "Kuhhandel" zu Lasten der Fahrgäste, sofern nicht gleichzeitig ein Teil der zusätzlichen Mehrwertsteueranteile als Ersatz für die Kürzungen der Regionalisierungsmittel wieder in den SPNV gelenkt wird. Schließlich erhält das Land sogar mehr Mittel vom Bund, wenn auch jetzt ohne die ausdrückliche Zweckbindung „SPNV“.

Doch durch die jetzt beschlossene Kürzung der für den SPNV zweckgebundenen Mittel in Höhe von mindestens 70 Mio. EUR p.a. ab 2007 (vgl. Anlage 1) drohen drastische Einschränkungen dieser bisher sehr erfolgreichen Übertragung von Kompetenzen vom Bund aus das Land. Insofern begrüßen wir die Aussage von Herrn Staatssekretär Köberle, dass Streckenstillegungen ausgeschlossen seien (vgl. Stuttgarter Zeitung vom 17.06.06). Allerdings sollen Fahrplankürzungen besonders im Spät- und Wochenendverkehr erfolgen. Demgegenüber erklärt Bayern, dass es – dank verstärkter Ausschreibungen – keinen Zug streichen muss.

Bei den Kürzungsplänen ist zu bedenken, dass durch die zeitgleiche Kürzung der steuerlichen Pendlerpauschale (beruflich bedingte) Mobilität für alle Arbeitnehmer teurer wird. Durch eine Kürzung des Bahnangebotes für Pendler würden viele Arbeitnehmer wieder auf das Auto umsteigen müssen, da die heutige Flexibilisierung der Arbeitszeiten nicht mehr nur durch „einen Pendlerzug“ abgedeckt werden kann, sondern einen klaren und dichten Taktfahrplan erfordert.

Die Feinstaubbelastung nicht nur in Großstädten, sondern auch in vielen kleineren Gemeinden (z.B. Mühlacker, Pleidelsheim) ist nach wie vor hoch – die bislang diskutierten Maßnahmen sind erfolglos oder nicht umgesetzt. Eine der nicht umgesetzten Maßnahmen ist dabei stets eine „Verbesserung des ÖPNV“. Tatsächlich wird der ÖPNV durch diese Sparmaßnahmen und andere Kürzungen (GVFG, Schülerbeförderung, Finanzierung der Schwerbehindertenfreifahrt) nicht nur nicht ausgebaut, sondern sogar verschlechtert und abgebaut. Eine Einhaltung der von der EU vorgegebenen Luftreinhalteziele lässt sich somit nicht erreichen.

Nachdem schon im Jahr 2004 schwach ausgelastete Züge in Baden-Württemberg im Rahmen eines Controlling-Verfahrens identifiziert und gestrichen worden sind, würde eine weitergehende Kürzung deutliche Einschränkungen für die Bevölkerung in Baden-Württemberg bedeuten, die in den vergangenen Jahren gerade erst wieder „erfahren“ hat, dass der SPNV eine attraktive Alternative zum PKW darstellt. Gerade das Baden-Württemberg-Ticket wird am Wochenende häufig für Ausflüge genutzt. Eine Einschränkung der Wochenendverbindungen würde somit auch die Tourismusregionen in Baden-Württemberg schwächen. Wollte man das Einsparvolumen nur über eine Kürzung der Wochenendverbindungen erzielen wollen, würde dies eine Halbierung des Zugangebotes am Wochenende bedeuten. Dies zeigt das ganze Ausmaß des Kürzungsvolumens.

Auch wenn vom Kürzungsbetrag in Höhe von 70 Mio. EUR nicht alles auf Kürzungen im SPNV entfällt, so ist doch zu befürchten, dass rund 50 Prozent durch Einsparungen bei den bestellten Zugleistungen und 50 Prozent durch andere Einsparungen (z.B. Kürzung der Förderung der Verkehrsverbünde, GVFG, mehr Effizienz etc.) aufgebracht werden müssen.

Diese annäherungsweise 35 Mio. EUR für Zugbestellungen entsprechen beim Verkehrsvertrag des Landes mit DB Regio derzeit (Zugkilometerpreis 8,25 EUR) rund 4,24 Mio. Zugkilometer pro Jahr. Bei rund 43 Mio. bestellten Zugkilometern erhält die DB Regio derzeit also rund 355 Mio. EUR vom Land, festgeschrieben mit einer Dynamisierungsklausel bis 2016. Im Falle einer Reduktion der Regionalisierungsmittel nehmen (so Landtags-Drucksache 13/5102) die Vertragspartner Gespräche mit dem Ziel einer einvernehmlichen Regelung auf. Wichtig hierbei ist: Im Falle von Abbestellungen kann sich eine geringere Zuschusskürzung ergeben, falls sich Personal und Fahrzeuge nicht vollständig einsparen lassen.

Aus Sicht des VCD sollte Ziel dieser Gespräche sein, den Kostensatz pro Zugkilometer auf 7,0 – 7,5 EUR abzusenken, um so die Einsparungen für die Fahrgäste kostenneutral zu gestalten (eine Einsparung von 81 Cent pro Zugkilometer bei 43 Mio. Zugkilometern ergibt gerade die notwendigen rund 35 Mio EUR). Hintergrund dieser Forderung ist, dass DB Regio seit Jahren hohe Gewinne erzielt (vgl. Anlage 2). Basis dieser hohen Gewinne sind überhöhte Kostensätze aus den langlaufenden Verkehrsverträgen mit den Ländern. Unseres Erachtens zahlt insbesondere Baden-Württemberg überhöhte Preise, da aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte und dichter Fahrpläne sich hierzulande sehr hohe Fahrgastzahlen und damit auch hohe Einnahmen für DB Regio ergeben. Rechnet man die 35 Mio. EUR Einsparvorgabe von den Zahlungen an die DB ab, so dürfte bei DB Regio dennoch ein nicht unbeträchtlicher Gewinn übrig bleiben.

Sollte keine einvernehmliche Lösung gefunden werden, so sieht der Verkehrsvertrag vor, dass das Land die Mittel kürzt und DB Regio bestimmt, welche Verbindungen entfallen (allerdings in Abstimmung mit dem Land). Die Landtagsdrucksache 13/5102 schweigt sich leider darüber aus, was passiert, wenn eine Abstimmung mit dem Land nicht zustande kommt. Bestimmt also DB Regio, welche Verbindungen entfallen? Wenn ja, so dürfte klar sein:

  • Verbindungen, die aus Sicht von DB Regio unwirtschaftlich sind, entfallen.
  • Es ist günstiger, ganze Strecken einzustellen, als den Verkehr auszudünnen.
  • Die volle Rückerstattung (8,25 EUR pro Kilometer) fällt nur an, wenn Züge und Personal nicht mehr benötigt werden; dies führt bei heutigen Stundentakten zu 2-Stunden-Takten.

Durch Maßnahmen, die DB Regio vorschlägt, erhöht sich die Wirtschaftlichkeit des verbleibenden Angebotes für DB Regio. Damit erhöht sich bei gleichem Zugkilometerpreis der Gewinn von DB Regio, während die Regionen des Landes einen schlechteren Nahverkehr zu verkraften haben. Diese Lösung kann nicht im Sinne der Landespolitik sein und somit greift wieder unser obiger Vorschlag, die Kostensätze bei DB Regio abzusenken.

Sollte es nicht vollständig gelingen, durch Reduktion der Zugkilometerpreise von DB Regio, das Einsparvolumen umzusetzen, so sind wir der Ansicht, dass für eine Übergangszeit Mittel aus dem erhöhten Mehrwertsteueranteil, den das Land im Gegenzug zur Reduktion der Regionalisierungsmittel erhält, zur Aufrechterhaltung des heutigen Fahrplanangebotes eingesetzt werden muss. Gleichzeitig müssen alle Möglichkeiten zur Ausschreibung von Verkehrsleistungen genutzt werden, um bei DB Regio vorhandene Einsparvolumen und Effizienzpotenziale durch den Wettbewerb zu zu nutzen (z.B. dürften die meisten IRE-Verkehre kostendeckend sein, dennoch wird der normale Km-Satz abgerechnet). Dadurch lassen sich dann wieder die Zuschusszahlungen des Landes nach Abschluss dieser Ausschreibungen senken.

Durch die Zusammenlegung von Verkehrsverbünden und ein optimiertes Marketing über das bestehende ÖPNV-Angebot im Lande sollten weitere Fahrgäste gewonnen werden, die dazu beitragen, die Zuschusszahlungen des Landes abzusenken.

Attraktiver ÖPNV oder brachliegende Schienen - Sie haben die Wahl!

Eine Politik, die jetzt nur auf Streichungen setzt, wäre nicht vorausschauend und nachhaltig – der Erfolg von zehn Jahren Regionalisierung und zehn Jahren steigenden Fahrgastzahlen und steigender Wirtschaftlichkeit im ÖPNV in Baden-Württemberg würde auf einen Schlag zunichte gemacht.

Deshalb appellieren wir an Sie als Mitglied des Landtags: Entscheiden Sie zugunsten der Fahrgäste und für einen attraktiven Fahrplan, der von Ihren Wählern auch genutzt werden kann. Die langjährigen Diskussionen über Streckenstillegungen, mangelhafte Fahrpläne etc. gehören erfreulicherweise seit einigen Jahren der Vergangenheit an. Die Nutzung des umweltfreundlichen Schienenverkehrs, dessen Energie ganz überwiegend aus heimischen Quellen stammt, hat erfreulich zugenommen. Stimmen Sie jetzt für eine Politik des Abbaus, werden wieder langjährige Debatten über Streckenstillegungen, Zugstreichungen etc. beginnen und das derzeit positive Image des Öffentlichen Verkehrs in Baden-Württemberg wird darunter leiden. Die Folge werden sinkende Fahrgastzahlen, höhere Zuschussforderungen und weitere Debatten – d.h. die bekannte Abwärtsspirale – sein.

Entscheiden Sie sich jetzt für den Erhalt des bestehenden Bahnangebotes und eine Effizienzsteigerung durch mehr Wettbewerb, so stellen sie die Weichen für eine Bahnpolitik, die zu mehr Fahrgästen führt und langfristig die Kosten senkt. Ihre Wähler, die Umwelt und spätere Generationen werden Ihnen danken.

Mit freundlichem Gruß

Matthias Lieb Werner Korn
Vorsitzender Geschäftsführer

Anlagen

Anlage 1 - Geplante Kürzungen der Regionalisierungsmittel

Kürzung der Regionalisierungsmittel für Baden-Württemberg durch das Haushaltsbegleitgesetz 2006 (Werte in Mio. EUR). Der Kompromiss ist noch nicht gesetzlich fixiert:

Jahr	Plan	Ist	Delta	Kompromiss
2006	747,39	736,34	-11,05	-11,05
2007	758,60	700,51	-58,09	-58,09
2008	769,98	690,07	-79,91	-73,01
2009	781,53	690,07	-91,45	-74,11
2010	793,25	690,07	-103,18	-75,22
Summe			-343,67	-291,47

Die Kürzung des Jahres 2006 kann im Jahr 2006 durch Fahrplanänderungen nicht eingespart werden, somit ergibt sich rechnerisch ein Einsparungsbedarf für das Jahr 2007 von 69,14 Mio. EUR.

Anlage 2 - Auszüge aus dem Geschäftsbericht der Deutschen Bahn AG 2005

  • Umsatz DB Regio 6.452 Mrd EUR
  • Gewinn DB Regio 0.554 Mrd EUR

Betriebsleistung 517,4 Mio Zugkilometer, davon 43 Mio in Baden-Württemberg über den Verkehrsvertrag, weitere über DB-Tochterfirmen.