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Droht 15 Prozent des Schienennetzes das Aus?

Presseinformation Nr. 16/2006, Stuttgart, 17. Juli 2006

VCD beklagt Verharmlosung der Landesregierung beim Umgang mit gekürzten Regionalisierungsmitteln

Verkehrsclub veröffentlicht Liste gefährdeter Bahnstrecken

Die gekürzten Mittel für den Schienenpersonenverkehr könnten in Baden-Württemberg eine ungeahnte Streckenstilllegungslawine in Gang setzen. Dies befürchtet der Landesverband des Umwelt- und Verbraucherverbandes Verkehrsclub Deutschland (VCD), der erstmals eine Liste der gefährdeten Bahnstrecken vorgelegt hat. Zugstreichungen und Streckenstilllegungen seien aber keine zwingende Notwendigkeit. Es bedürfe engagierten Handelns und offensiven Verhandlens der Landesregierung um den erfolgreichen 3-Löwen-Takt zu retten.

"Für die Bestellung von Zugleistungen fehlen ab 2007 mindestens 35 Millionen Euro pro Jahr", erklärte der VCD-Landesvorsitzende Matthias Lieb. Dies bedeute nach den Regelungen des Verkehrsvertrages zwischen Land und DB Regio eine Kürzung um 4 bis 6 Millionen Zugkilometer pro Jahr. Schon 2004 habe das Land schwach ausgelastete Züge gestrichen (rund 1 Million Zugkilometer), so dass es derzeit keine 'schwach belegten Züge' mehr gebe. Eine Kürzung des noch bestehenden Angebotes ginge also an die Substanz des Bahnverkehrs in Baden-Württemberg. "Wenn die Landesregierung erklärt, dass die geplanten Einsparungen nur einer Reduktion auf das Fahrplanjahr 1996 gleichkämen, so verkennt sie dabei, dass damals viele Strecken noch von Interregio-Zügen befahren worden sind, für die das Land im Jahr 2002 die Finanzierung im Rahmen der IRE-Züge übernommen hat - dies entspricht rund 3,5 Millionen Zugkilometer jährlich."

Nach Ansicht des VCD werden Land und DB Ausdünnungen der Zulaufstrecken auf den Stuttgarter Hauptbahnhof vermeiden wollen, weil dadurch Stuttgart 21 gefährdet sei. Dies erhöhe jedoch den Druck, die Einsparungen durch Streichungen im ländlichen Raum zu erzielen.

Da laut Nahverkehrsvertrag die DB das Recht habe, schwach ausgelastete Verbindungen zu streichen, tatsächlich schwach belegte Züge aber schon 2004 aus den Fahrplänen getilgt worden seien, würde dies in letzter Konsequenz zur Einstellung ganzer Bahnlinien in den weiter von Stuttgart entfernten Regionen führen. Insgesamt 15 Prozent des gesamten DB-Streckennetzes in Baden-Württemberg stünden somit zur Disposition, beklagt VCD-Chef Lieb.

Beispielhaft hat der VCD eine Übersicht von Bahnlinien mit relativ geringer Nachfrage zusammengestellt. Deren Fahrgastzahlen liegen deutlich unter dem Durchschnitt in Baden-Württemberg, aber deutlich über Strecken in anderen Bundesländern. Bei diesen Strecken sieht der VCD ein wirtschaftliches Interesse von DB Regio an einer Einstellung des Betriebes. Fast allen Strecken sei gemein, dass sie in den vergangenen Jahren nicht modernisiert wurden und deshalb mit relativ hohen Personalkosten zu betreiben seien.

Kursbuch-Nr Linie Tägliche Zugpaare Streckenlänge Einsparvolumen (Zugkilometer)
709 Seckach - Rippberg (-Miltenberg) 16/7 28 km 280.000
714 Eppingen - Steinsfurt 14/7 13 km 120.000
788 Wertheim - Crailsheim 13/9 100 km 900.000
786 Crailsheim  Ellwangen (Nahverkehr) 10 21 km 150.000
995 Aalen - Nördlingen 16/10 39 km 400.000
783 Öhringen - Schw.Hall-Hessental 16 34 km 420.000
753 Aulendorf - Kißlegg 8 30 km 220.000
766 Aulendorf - Herbertingen 18 28 km 370.000
971 Memmingen - Wangen - Hergatz (Nahverkehr) 7 (tw. 14) 62 km 450.000
755 Sigmaringen - Tuttlingen 7 (nur DB) 43 km 220.000
727 Donaueschingen - Neustadt(Schw) 16 40 km 470.000
728 Titisee - Seebrugg 16 19 km 220.000
Gesamt 457 km 4.220.000

Darüber hinaus sind nach Einschätzung des VCD im Bereich der S-Bahn Stuttgart weitere Strecken betroffen.

Kursbuch-Nr Linie Tägliche Zugpaare Streckenlänge Einsparvolumen (Zugkilometer)
790.11 Kornwestheim - Untertürkheim 4 12 km 24.000
790.31 Marbach - Backnang 20 14 km 150.000
788 Kirchheim/Teck - Oberlenningen 12 11 km 100.000
Gesamt 37 km 274.000

Insgesamt sind nach den Berechnungen des VCD 15 Prozent des DB-Streckennetzes in Baden-Württemberg gefährdet. VCD-Vorsitzender Matthias Lieb: "Mit einer Kürzungsorgie diesen Ausmaßes wäre die Einsparvorgabe des Landes zu erreichen  und ein bislang vorbildliches Schienennahverkehrssystem zerstört." Der VCD fordert die Landesregierung auf, diesen Kahlschlag im baden-württembergischen Bahnverkehr nicht zu akzeptieren. Mit einem Bündel an Maßnahmen seien umfangreiche Zugstreichungen und Streckenstilllegungen zu vermeiden. Notwendige Maßnahmen sind nach Einschätzung des VCD:

  1. Neuverhandlung des Verkehrsvertrages mit DB Regio, Absenkung des Bestellpreises auf 7,00 - 7,50 Euro (aktuell 8,25 Euro).
  2. Angemessene Berücksichtigung der Fahrgastzuwächse bei der Bemessung des Bestellpreises.
  3. Ausschöpfen aller Ausschreibungsmöglichkeiten im Rahmen des Verkehrsvertrages.
  4. Gegebenenfalls vorzeitige Kündigung des Verkehrsvertrages und Ausschreibung aller Verkehre.
  5. Zusammenlegung von Verkehrsverbünden.

Schon im Jahr 2004 seien im ländlichen Raum, insbesondere auf den oben genannten Strecken, insgesamt eine Million Zugkilometer gestrichen worden, so dass die Landesregierung nun zu einem klaren Bekenntnis zur die Zukunft des Schienenpersonenverkehrs in der Fläche gefordert sei. Dass auch im ländlichen Raum der Schienennahverkehr mit steigenden Fahrgastzahlen und sinkenden Zuschüssen betrieben werden könne, zeigten die Beispiele 'Ringzug' im Raum Tuttlingen-Rottweil sowie die Stadtbahnen im Kraichgau und Nordschwarzwald. Allerdings sei hierbei gerade nicht DB Regio der Betreiber der Linien.

Das Land bestelle bei DB Regio die Zugkilometer zu einem Einheitskostensatz, unabhängig von den tatsächlich nicht durch Fahrgeldeinnahmen gedeckten Kosten. Eine Einstellung der schwächer ausgelasteten Strecken würde somit der DB überproprortional hohe Kosten ersparen, führe aber beim Land nur zu einer Ersparnis zu Einheitskosten. Somit könne der Gewinn der DB mit den Kürzungen sogar überproportional steigen.

Auch heute schon sei bei einem Bestellpreis von 8,25 Euro pro Zugkilometer die DB Regio der größte Gewinnfaktor im gesamten DB Konzern. Insbesondere der Nahverkehrsvertrag mit Baden-Württemberg ermögliche der DB hohe Monopolgewinne. Schon eine Absenkung des Bestellpreises auf 7,00 - 7,50 Euro pro Zugkilometer ermöglicht nach VCD-Berechnungen den Ausgleich des Kürzungsvolumens von 35 Millionen Euro ohne Züge streichen zu müssen. Offensichtlich berücksichtige der Verkehrsvertrag nicht die gestiegenen Fahrgastzahlen. Da der Vertrag ein sogenannter Nettovertrag sei, verblieben die Fahrgelderlöse bei der DB. Steigende Fahrgastzahlen führten somit nicht zu sinkenden Zuschüssen des Landes, sondern erhöhten ausschließlich den Gewinn von DB Regio.

VCD-Vorsitzender Matthias Lieb sagte: "Sollen die Bahnfahrgäste im Land bluten, nur weil die Landesregierung vor der DB kuscht wie das Kaninchen vor der Schlange? Das darf nicht sein. Zugstreichungen und Streckenstilllegungen sind vermeidbar. Was es jetzt braucht ist politischer Willen und entschlossenes Handeln."

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