Verkehrsverbünde: Fluch oder Segen für den ÖPNV im Land?
Presseinformation Nr. 02/05 vom 5. Januar 2005
Verkehrsclub untersucht das Tarifwirrwarr in Baden-Württemberg
Verkehrsverbünde: Fluch oder Segen für den ÖPNV im Land?
VCD fordert von der Landesregierung und den Verbünden Harmonisierung der Tarifbestimmungen
Der Umwelt- und Verbraucherverband Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat erneut die Verkehrsverbünde in Baden-Württemberg unter die Lupe genommen. Herausgekommen ist ein - aus Sicht des Fahrgasts - immer noch beispielloses Wirrwarr aus Tarifen und Beförderungsbedingungen. Um den Zugang zum öffentlichen Nahverkehr zu erleichtern und so mehr Autofahrer zum Umsteigen zu bewegen, fordert der VCD eine Harmonisierung. Verantwortlich hierfür ist das Land Baden-Württemberg, größter Geldgeber des ÖPNV und gleichzeitig Tarifgenehmigungsbehörde.
Ende 2002 hatte der VCD mit seiner ersten Untersuchung der Verkehrsverbünde im Land große Resonanz sowohl in der Politik als auch bei Verkehrsunternehmen und -verbünden erzeugt. Ergebnis der aktuellen Bestandsaufnahme ist, dass in den vergangenen Jahren zwar einige gute Entwicklungen angestoßen wurden. Die zwei zentralen Probleme wurden nach Einschätzung des VCD aber noch nicht gelöst. VCD-Vorsitzender Matthias Lieb: "Zum einen besteht Baden-Württemberg nach wie vor aus einem Flickenteppich einer Vielzahl von Verkehrsverbünden, die jeweils eigene Tarifbedingungen und Beförderungsbestimmungen aufweisen. Zum anderen mangelt es den Verkehrsverbünden an Kooperationsbereitschaft, so dass die Nutzung des öffentlichen Verkehrs über Verbundgrenzen hinweg unnötig erschwert wird." Erfreulicherweise habe inzwischen auch die Landesregierung das Problem erkannt und will durch geänderte Förderkriterien Kooperationen fördern. Dass dies dringend nötig ist, zeigt die VCD-Untersuchung.
Der Vorteil eines Verkehrsverbundes liegt darin, dass alle öffentlichen Verkehrsmittel im Verbundgebiet mit nur einem Fahrschein benutzt werden können. Mit der Gründung des Verkehrsverbundes Stuttgart (VVS) hatte Ende 1978 auch in Baden-Württemberg das Verbundzeitalter begonnen. Inzwischen gibt es in Baden-Württemberg nur noch zwei Landkreise ohne Verkehrsverbund. Der Rest des Landes wird von 23 Tarif- oder Verbundkooperationen bedient, wovon allerdings nur sieben Verbünde Landkreisgrenzen überschreiten und somit einen großen Verkehrsraum erschließen. VCD-Vorsitzender Matthias Lieb: "Hält man sich eine Landkarte vor Augen, so ergeben die Verkehrsverbünde im Land einen buntes, klein gemustertes Patchwork. Diese Struktur entspricht aber schon lange nicht mehr den Bedürfnissen der ÖPNV-Nutzer. Ein Großteil der Verkehre überschreitet Landkreis- und Verbundgrenzen. Dann benötigt der Fahrgast aber wieder mehrere Fahrscheine, und die eigentlich brilliante Verbundidee greift nicht mehr."
Gerade bei der Kooperationsbereitschaft der Verbünde hat der VCD große Unterschiede festgestellt. Als Bremser wirke hier insbesondere der Stuttgarter VVS, der durch seine Lage in der Mitte des Landes eine zentrale Stellung einnimmt. VCD-Vorsitzender Matthias Lieb fasst zusammen: "Je schwäbischer ein Verbund, desto weniger Kooperationen mit den Nachbarn gibt es - je badischer, desto großzügiger sind die verbundüberschreitenden Angebote für die Fahrgäste."
Der VCD hat recherchiert, dass rund um den Karlsruher KVV vier Verbünde eine gemeinsame Tageskarte für Ausflüge anbieten. Im Südbadischen kooperieren fünf Verbünde und bieten Ausbildungsmonatskarten an, die ohne Aufpreis ab 14 Uhr in der gesamten Region gelten. Auch die Deutsche Bahn AG hat inzwischen eingesehen, dass die Reise am Bahnhof noch nicht zu Ende ist und ermöglicht mit dem Cityticket die Fahrt im ICE samt anschließender kostenloser Weiterfahrt mit der Stadtbahn (auch in Stuttgart). Doch weiterhin blockiert der VVS ähnliche Regelungen für Nahverkehrskunden von außerhalb des VVS-Gebietes. Der VCD-Vorsitzende Matthias Lieb erklärte: "Die Idealvorstellung aus Nutzersicht ist: Ein Ticket für eine Fahrt! Um aber zum Beispiel zwischen einer beliebigen Haltestelle im Neckar-Alb-Donau-Gebiet (Verkehrsverbund naldo) und einer beliebigen Haltestelle im Großraum Stuttgart (VVS) zu pendeln, sind immer noch bis zu drei Fahrscheine notwendig."
Der VCD hat die Tarife und Beförderungsbestimmungen verglichen und festgestellt, dass jeder Verkehrsverbund nach wie vor sein eigenes Süppchen kocht. So gilt das Baden-Württemberg-Ticket noch immer nicht in ganz Baden-Württemberg, das Schöne-Wochenende-Ticket gilt in noch weniger Verbünden. Es gibt unterschiedlichste Zonengrößen, verschiedene Systeme von Mehrfahrkarten, darüber hinaus verschiedene nicht kompatible Chipkarten, die regelmäßigen Nutzern Rabatte ermöglichen. Noch undurchsichtiger ist das Angebot an Tages- bzw. 24-Stunden-Karten. Zieht man dann noch die verschiedenen Mitnahmemöglichkeiten für Zeitkartennutzer in Betracht - mal darf es der Hund sein, mal das Fahrrad, mal die ganze Familie am Wochenende - dann ist das Chaos perfekt. Nicht ganz so üppig sieht es aber bei der Anerkennung der BahnCard aus. Die gilt nur in fünf Verkehrsverbünden. Um die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs zu vereinfachen fordert der VCD von der Landesregierung und den Verkehrsverbünden eine Harmonisierung in folgenden Bereichen:
- Einheitliche Kinderaltersgrenze (Vollendung des 14. Lebensjahres).
- Einheitliche Definition einer Kleingruppe (5 Personen).
- Gültigkeit einer Minigruppenkarte als Tageskarte.
- Einheitliche Mitnahmeregelungen bei Zeitkarten (4 Personen, Mo-Fr ab 19 Uhr und am Wochenende).
- Anerkennung des Baden-Württemberg-Tickets in allen Verkehrsmitteln aller Verkehrsverbünde. Einführung eines Baden-Württemberg-Tickets für eine Person.
- Einheitliche Mobilitätskarte (Chipkarte), mit der in allen Verbünden rabattierte Fahrausweise gelöst werden können.
- Übergangsregelungen zu Nachbarverbünden durch Festlegung von Überlappungsbereichen für Einzel- und Dauerkarten.
- Baden-Württemberg-Tarif für längere Fahrtstrecken: Bahnfahrt im Nahverkehr plus Stadtverkehr am Start- und Zielort zu einem Preis mit einer Fahrkarte.
- Einbeziehung des DB-Fernverkehrs in die Verbundtarife und den Baden-Württemberg-Tarif.
- Mittelfristig Bildung größerer Verkehrsverbünde entsprechend den Beispielen in anderen Bundesländern.
Das Land Baden-Württemberg bezahlt pro Jahr 550 Millionen Euro an Bestellerentgelten und Fahrzeugförderungen für Nahverkehrszüge. Darüber hinaus werden die Verkehrsverbünde mit 50 Millionen Euro gefördert. VCD-Vorsitzender Matthias Lieb: "Die Landesregierung kann sich nicht weiter herausreden. Die Neuregelung der Verbundförderung bietet die Chance fahrgastorientierte Lösungen für Fahrten über Verbundgrenzen zu schaffen. Die gleichzeitige Absenkung der Landeszuschüsse für den ÖPNV und die Verkehrsverbünde lässt hoffen, dass die Interessen der Fahrgäste wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt werden. Zu häufig war in der Vergangenheit das Schielen nach Zuschüssen wichtiger als die Bedürfnisse der Fahrgäste. Andererseits besteht durch fehlende Gelder und eventuelle Anhebungen der Tarife die Gefahr, dass Fahrgäste wieder auf ihr Auto umschwenken. Wir fordern die Landesregierung deshalb auf, zu einer stetigen und - auch für die Verkehrsverbünde - berechenbaren ÖPNV-Politik zurückzukehren."
Die Untersuchung "Verkehrsverbünde in Baden-Württemberg - Fluch oder Segen für den ÖPNV? - Folge 2" kann beim VCD Landesverband Baden-Württemberg e.V. angefordert werden und steht im Internet zum Download zur Verfügung: