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VCD-Studie zu Nutzen-Kosten-Berechnungen bei Stuttgart 21

Presseinformation Nr. 15/2011, Stuttgart, 21. Juni 2011

VCD: Neue 500 Millionen Euro-Finanzierungslücke bei Stuttgart 21

Grundlage für Fördermittel hinfällig

Geplante S-Bahn-Station Mittnachtstraße schädlich für Stuttgarter Nahverkehr

Keinen volkswirtschaftlichen Nutzen für die Nahverkehrsinvestitionen bei Stuttgart 21 konnte der ökologische Verkehrsclub (VCD) bei seiner Überprüfung der Nutzen-Kosten-Berechnungen für Stuttgart 21 ermitteln – damit ergibt sich eine neue Fi­nan­zierungs­lücke von 500 Millionen Euro für das Projekt: „Angesichts der gestiegenen Baukosten sowie der Änderungen im S-Bahn-Fahrplan war zu überprüfen, ob die bisher von Prof. Martin, Verkehrswissenschaftliches Institut Stuttgart (VWI), erstellten Nutzen-Kosten-Berechnungen noch Bestand haben“, erklärt VCD-Landesvorsitzender Matthias Lieb den Hintergrund für die Studie.

Matthias Lieb: Bei anderen Maßnahmen im Nahverkehr, wie beispielsweise bei der geplanten S-Bahn-Verlängerung nach Calw, verlange die Landesregierung zwingend eine aktualisierte Nutzen-Kosten-Berechnung, bevor öffentliche Gelder in das Pro­jekt fließen. Was für andere Projekte im Nahverkehrsbereich gelte, müsse auch für Stuttgart 21 angewandt werden. Der VCD fordert deshalb, dass die aus den Jahren 2006 und 2008 stammenden Berechnungen aufgrund einer aktualisierten Daten­basis von unabhängigen Fachleuten neu geprüft werden.

Die damals beauftragten Gutachter hatten noch einen Nutzen von 15 Millionen Euro jähr­lich ermittelt. Wird die ursprüngliche Datenbasis an die neue Entwicklung angepasst, führt dies zu einer Nutzenminderung bzw. Kostenerhöhung um rund 23 Millionen Euro pro Jahr. Anstelle eines volkswirtschaftlichen Nutzens entstehen somit jährliche Kosten von knapp acht Millionen Euro“, kommentiert Matthias Lieb das ernüchternde Er­geb­nis der Analyse.

Diese finanzielle Belastung drücke sich in einem Nutzen-Kosten-Faktor von nur noch 0,75 aus, erläutert der VCD-Vorsitzende und fährt fort: Damit sei der gesetzlich vor­geschriebene Wert von mindestens 1,0 deutlich unterschritten. Dieser müsse aber nachweisbar erreicht werden, so der VCD weiter, um für derartige Projekte öffentliche Fördermittel beanspruchen zu können.

Damit sei nach Ansicht von Matthias Lieb nur ein Fazit möglich: „Es gibt keine gesetzliche Grundlage mehr für die vorgesehenen insgesamt rund 500 Millionen Euro Fördermittel aus Steuergeldern! Die nach dem Gemeinde­verkehrs­finanzierungsgesetz bzw. aus dem Nahverkehrsanteil des Bundesschienenwegeausbausgesetzes für Stuttgart 21 eingeplanten Mittel dürfen folglich nicht verwendet werden.

Prof. Martin hatte auf dem alten Kostenstand von 2,8 Milliarden Euro seine Berech­nun­gen durchgeführt“, erklärt Matthias Lieb zu den Schwächen der früheren Gutachten und ergänzt: „Allein schon durch die Preisanpassung auf die offiziellen aktuellen Baukosten werden die Wangener Kurve und die Station Mittnachtstraße unwirt­schaft­lich.

Der VCD weist darauf hin, dass die geplante S-Bahn-Station Mittnachtstraße bislang nie hinterfragt worden sei, da neben dem Nutzen für die dortigen Ein- und Aus­steiger davon ausgegangen wurde, dass sich für die Über-Eck-Umsteiger zwischen Bad Cannstatt und Nordbahnhof eine Verkürzung der Fahrzeit ergäbe und der Zusatzhalt keine Auswirkungen auf den S-Bahn-Fahrplan hätte. Doch die im Sommer 2010 veröffentlichte SMA-Untersuchung hätte ergeben, dass umfangreiche Fahr­plan­änderungen bei der S-Bahn notwendig seien, um diese von SMA als ‚Land­karte der Probleme’ bezeichnete Station einzubinden, so der VCD weiter.

Tatsächlich planen die Deutsche Bahn (DB) AG und das Land Baden-Württemberg mit einem Fahrplan, der für rund 10.000 Umsteiger die Fahrzeit um fünf Minuten und für weitere rund 196.000 Fahrgäste die Fahrzeit um zwei Minuten verlängert“, erläutert Matthias Lieb die aktuellen Planungen zum Stresstest: „Auf dieser Basis ist der Nutzen der Station Mittnachtstraße stark negativ!

Der VCD vermisse eine Diskussion im zuständigen Verband Region Stuttgart über die Auswirkungen des S-Bahn-Fahrplans und den Nutzen, den die Region habe. „Mit wel­cher Begründung zahlt die Region als Aufgabenträger für die S-Bahn 100 Millionen Euro für Stuttgart 21, wenn die S-Bahn-Fahrgäste massive Verschlechterungen durch dieses Projekt haben werden?“ fragt Matthias Lieb. Aus VCD-Sicht sei angesichts der Nach­teile für die Kunden der S-Bahn, der Bau der Station Mittnachtstraße nicht zu rechtfertigen.

Weitere Aspekte, die der VCD überprüfte, waren die unterstellten Zugzahlen des Fernverkehrs sowohl am Flughafenbahnhof als auch über die Wangener Kurve. „Es zeigte sich, dass hier die Zugzahlen des Fernverkehrs bewusst zu hoch angesetzt waren, um ein positives Ergebnis zu erzielen“, kritisiert Matthias Lieb die metho­di­schen Mängel der Gutachten. Außerdem sei der Gutachter auch mit der Halbierung des S-Bahn-Fahrplans auf den Fildern sehr kreativ gewesen, um Kosten zu sparen und damit eine höhere Wirtschaftlichkeit für Stuttgart 21 ausweisen zu können, bemängelt der VCD. Da der Verband Region Stuttgart und die Bahn inzwischen erklärt hätten, den Fahrplan nicht ausdünnen zu wollen, müssten die Effekte auch wieder herausgerechnet werden, fordert Lieb von den Verant­wort­lichen.

Ergebnisse im Detail:

Nutzen-Kostenfaktor vor Überprüfung: 1,77

(Nutzen 34,99 zu Kosten 19,77, Nutzenüberschuss 15,22, alle Werte in Mio. € pro Jahr)

Die Nutzenminderung bzw. Kostenerhöhung um rund 23 Mio. teilt sich auf vier Bereiche auf:

  1. Anpassung an die gestiegenen Baukosten: -6,72 Mio. €
  2. S-Bahn-Station Mittnachtstraße: - 9,36 Mio. €
  3. Anpassung der Zahl der Fernzüge über Wangener Kurve und am Flughafen: -4,90 Mio. €
  4. Beibehaltung des S-Bahn-Fahrplans auf den Fildern: -2,17 Mio. €

Nutzen-Kosten-Faktor nach der Überprüfung: 0,75

(Nutzen 23,46 zu Kosten 31,39, Kostenüberschuss 7,93, alle Werte in Mio. € pro Jahr).

Das Teilprojekt S-Bahn-Station Mittnachtstraße weist einen Nutzen-Kosten-Faktor von -0,36 auf. Es entsteht ein negativer Nutzen für die Fahrgäste durch Fahrzeit­verlängerungen in Höhe von mindestens 2,76 Mio. € jährlich, gleichzeitig entstehen pro Jahr Kosten für Zins und Abschreibung von 7,75 Mio. €.

Hintergrundinformation:

Das Standardisierte Bewertungsverfahren ist ein vom Bundesverkehrsministerium (BMVBS) vorgeschriebenes Verfahren zur Nutzen-Kosten-Untersuchung größerer ÖPNV-Projekte. Dabei wird jeweils der so genannte ‚Ohnefall’ (Zustand ohne Realisierung der Maßnahme) mit dem ‚Mitfall’ (Realisierung der Maßnahme) ver­gli­chen. Übersteigt der Nutzen aus der Maßnahme die Abschreibungs- und Zinskosten für die Baumaßnahme (Indikator E1), so ergibt sich ein förderfähiges Nutzen-Kosten-Verhältnis von größer 1,0.

Die vorliegenden Gutachten zu Stuttgart 21 wurden jeweils am VWI Verkehrswissenschaftliches Institut Stuttgart GmbH (Prof. Martin) erstellt (2006 und 2008).

Die VCD-Studie zu den Nutzen-Kosten-Berechnungen der Gutachten für Nah­ver­kehrs­investitionen bei Stuttgart 21 kann bei der VCD-Landesgeschäftsstelle angefordert werden.

Anlagen

VCD-Studie zu Nutzen-Kosten-Faktor bei Nahverkehrsinvestitionen

Weitere Informationen zu Stuttgart 21


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