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Antwortschreiben von Dr. Hartmut Mehdorn

An
Dr. Hartmut Mehdorn
Vorsitzender des Vorstands
Deutsche Bahn AG
Potsdamer Platz
210785 Berlin

Stuttgart, 17. Mai 2005

Stuttgart 21 Sehr geehrter Herr Dr. Mehdorn,

vielen Dank für Ihren Brief vom 14. April 2005.

Wir bedauern sehr, dass Sie nicht in eine inhaltliche Diskussion zum Thema "Stuttgart 21" einsteigen möchten. Als VCD Landesverband Baden-Württemberg halten wir es für unbedingt notwendig, dass auch die Sicht der Nutzer des Bahnverkehrs bei den Überlegungen zur Neuordnung des Bahnknotens Stuttgarts berücksichtigt wird und nicht nur die städtebaulichen Interessen der Stadt Stuttgart.

Wir wissen nicht, wie Sie auf die Idee kommen, wir würden selbst selten Bahn fahren. Der Linksunterzeichner kauft sich jährlich eine BahnCard 100 First, der Rechtsunterzeichner fährt mit einer Bahncard 100. Als Stammkunden sind wir enttäuscht von Ihrer Reaktion. Wir hätten doch erwartet, dass sich der Vorsitzende des Vorstands des größten Dienstleistungsunternehmens der Republik mehr an den Interessen seiner Kunden orientiert.

Als Vielfahrer erkennen wir gerne an, dass sich die Pünktlichkeit im vergangenen Jahr verbessert hat - doch von schlecht zu besser ist noch nicht gut genug. Gestatten Sie uns, nur einige "Zumutungen" Ihres Unternehmens aufzulisten, die dem Linksunterzeichner in den vergangenen Wochen erfahren sind (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Am 27.02.05 Fahrt mit Nachtzug NZ 40289 nach Venedig. Der gebuchte Schlafwagen ist wegen Heizungsschaden nicht benutzbar (Schlafwagen wird von der FS gestellt). Schlafwagenschaffner bestätigt auf italienisch auf der Fahrkarte das Malheur. Fahrt wird im Liegewagen durchgeführt. In Venedig wird am Schalter erklärt, dass die Erstattung des Fahrpreises in Deutschland zu erfolgen hat. Am 03.03.05 wird die Fahrkarte im Reisezentrum Mühlacker mit der Bitte um Erstattung von EUR 60 (Differenz Liegewagenpreis - Schlafwagenpreis für 2 Personen) eingereicht. Reisezentrum erklärt, dass Auszahlung nicht direkt möglich sei, Antrag müsse eingeschickt werden. Bis heute - 17.05.05 - erfolgte noch keine Gutschrift - auch keine Eingangsbestätigung, dass der Vorgang bearbeitet wird.
  • Bei 3 Fahrten von Stuttgart nach München mit ICE 991 (geschäftliche Besprechungen) zwischen Februar und April betrug die Verspätung 3, 15 und 30 Minuten.
  • Am 29.03.05 fällt wegen Personalfehldisposition IRE 19105 aus, Ersatzverbindung mit RE 19501 führt zu einer (gegenüber IRE 19105) Ankunftsverspätung in Stuttgart von 24 Minuten.
  • Am 22.04.05 fährt wegen Personalmangel IRE 19105 ab Vaihingen/Enz nicht über die Schnellfahrstrecke nach Stuttgart, sondern über Ludwigsburg, Verspätung 19 Minuten. Die gleiche Umleitung erfolgt am 02.05.05 erneut.
  • Ebenfalls am 22.04.05 fährt der Linksunterzeichner um 15:27 ab Stuttgart mit ICE 574 bis Hannover, um dort in IC 145 nach Wolfsburg umzusteigen. ICE 574 ist bis 2 km vor Hannover Hbf pünktlich. "Aufgrund belegter Gleise verzögert sich die Einfahrt" lautet dann die Durchsage. ICE 574 erreicht Hannover Hbf 5 Minuten nach der fahrplanmäßigen Ankunft. Zur selben Zeit setzt sich IC 145 (obwohl als Anschluss ausgewiesen) in Bewegung. Die Aufsicht auf Gleis 9 begründet die Abfahrt von IC 145 damit, dass keine Umsteiger vorgemeldet gewesen seien (kann ja nicht, da bis 2 Minuten vor planmäßiger Ankunft des ICE dieser pünktlich war). Aufgrund dieser offensichtlichen Fehldisposition der Aufsichten und der Betriebsleitung bittet der Linksunterzeichner um eine Korrektur des Fehlers in Wolfsburg durch einen außerplanmäßigen Halt des wenige Minuten später folgenden ICE 643. Nach Rücksprache mit der Transportleitung wird dies abgelehnt und es wird der RE 14631 als nächste Fahrmöglichkeit genannt, mit der der Linksunterzeichner 51 Minuten verspätet in Wolfsburg eintrifft.
Die noch nicht erfolgte Erstattung sowie die Ziffern 3 - 5 sind ganz klar auf Unzulänglichkeiten in der Organisation zurückzuführen, die bei einer modernen, kundennahen Bahn einfach nicht passieren dürfen. Gerade das letzte Beispiel zeigt auch, dass eine zu geringe Zahl von Bahnsteigkanten Fahrpläne und Anschlüsse zu Makulatur werden lassen. Dies ist auch der Hauptkritikpunkt des VCD und der anderen Verbände an Stuttgart 21: Nicht ausreichende Dimensionierung der Anlagen und mangelne Flexiblität führen bei kleinen Störungen zu großen Behinderungen des Zugverkehrs mit nachteiligen Folgen für die Fahrgäste. Ein ausgebauter Kopfbahnhof hätte diesen Mangel nicht und würde einen integralen Taktfahrplan, wie er vorbildlich mit großem Erfolg in der Schweiz umgesetzt ist, auch mit einem Knoten Stuttgart ermöglichen.

Sehr geehrter Herr Mehdorn, wir stehen nach wie vor zu unserem Angebot, über die Vor- und Nachteile von Stuttgart 21 und der vorgeschlagenen Alternative in einen konstruktiven Dialog zu treten und würden es begrüßen, wenn dies von Ihnen aufgegriffen würde.

Übrigens organisiert der VCD in Person des Linksunterzeichners in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule "Schnupperkurse zum Bus- und Bahnfahren", bei der die Theorie und Praxis des Bahnfahrens bisherigen Nichtnutzern der Bahn vermittelt wird (vgl. Anlage). Dies noch als weiterer Hinweis, falls Sie noch nicht davon überzeugt sind, dass wir bahnnah und bahnfreundlich sind.

Doch die Planungen sowohl zu Stuttgart 21 als auch z.B. zum VDE 8.1 sehen wir nicht als bahnfreundlich, sondern als Verschleuderung von Steuergeldern an. Eine Bahnkonzeption nach dem Schweizer Modell "Intelligenz statt Beton" würde stattdessen zu mehr und zufriedeneren Fahrgästen führen und wäre wert, auch in Deutschland umgesetzt zu werden. Insofern empfehlen wir Ihnen, verstärkt aus der Schweiz fähige Eisenbahner in leitende Funktionen bei der Deutschen Bahn zu bekommen. Dies wäre eine Gewähr dafür, dass die Fahrgäste in Zukunft deutlich weniger Zumutungen zu erfahren hätten.

Mit freundlichem Gruß

Matthias Lieb Werner Korn
- 1. Vorsitzender - - Geschäftsführer -

Anlage 1 Bericht: VHS-Kurs "Bahnfahren für Anfänger"