EBA-Bericht zu Zugentgleisungen bestätigt VCD-Kritik
Presseinformation Nr. 8/2014, Stuttgart, 16. April 2014
EBA-Untersuchungsbericht bestätigt Umbaufehler
VCD kritisiert: Bauherr Deutsche Bahn AG gefährdet bei Stuttgart 21 aus wirtschaftlichen Gründen den Eisenbahnverkehr
VCD fordert regelkonformen Umbau der Gleisanlagen zur Erhöhung der Sicherheit
Der ökologische Verkehrsclub VCD sieht sich mit der Vorlage des Untersuchungsberichts des Eisenbahnbundesamts (EBA) zu den Zugentgleisungen in Stuttgart Hauptbahnhof in seiner Kritik am Bahnhofsumbau durch die Deutsche Bahn (DB) AG bestätigt: „Nur um Kosten zu sparen, ist die DB AG vom Regelwerk abgewichen und hat beim Umbau der Gleisanlagen für den Bau von Stuttgart 21 zu enge Weichenverbindungen eingebaut, die letztendlich zu den Entgleisungen führten und Menschen gefährdeten”, kritisiert VCD-Landesvorsitzender Matthias Lieb.
Der Bericht zeige aus VCD-Sicht aber auch auf, dass das EBA ein zahnloser Tiger gegenüber der Deutschen Bahn sei. So akzeptiere die Behörde, dass Unterlagen vom Konzern nicht vorgelegt, aber gleichzeitig eine eigene objektive Überprüfung seitens des EBA nicht durchgeführt würde. „Kein Wunder, dass dann im offiziellen Bericht ein armer Pufferteller der Übertäter sein soll und ansonsten nur Empfehlungen zur Überarbeitung der Richtlinien gegeben werden“, beklagt Matthias Lieb die Schlussfolgerungen des EBA. Doch wenn die überlangen Speisewagen seit 1973 entgleisungsfrei auf dem gesamten Netz sowohl der DB als auch im Ausland unterwegs waren und dann kurz hintereinander dreimal in Stuttgart nach einem Gleisumbau im Zuge der Bauarbeiten zu Stuttgart 21 entgleisen, könne dies wohl schwerlich am Puffer, sondern müsse dies doch offensichtlich an der Gleisgeometrie liegen, bekräftigt der VCD-Landesvorsitzende seine Kritik.
Unklar ist für den Verkehrsclub weiterhin die Sperrung des Verbindungsgleises aus Richtung Bad Cannstatt zum Bahnsteiggleis 8. Dieses wurde im Zusammenhang mit den Entgleisungen gesperrt und seither nicht wieder freigegeben. Darüber schweigt sich der Bericht jedoch aus.
Matthias Lieb: „Der Untersuchungsbericht und die dort dokumentierte mangelnde Unterstützung der DB AG zur Aufklärung des Unfalls sind weder ein Vertrauensbeweis für das Unternehmen Deutsche Bahn noch für die Unabhängigkeit der Untersuchungsstelle. Stattdessen geben sie erheblichen Anlass zur Sorge im Hinblick auf die Qualität der weiteren Bauarbeiten zu Stuttgart 21“, beklagt der VCD.
Da der Untersuchungsbericht festgestellt hat, dass der jetzige Gleiszustand zu erhöhtem Verschleiß führt und schon wenige Monate nach dem Umbau ein Gleislagefehler eingetreten war, fordert der VCD einen regelkonformen Gleisumbau, damit die Sicherheit der Fahrgäste sichergestellt ist. Angesichts der vermutlichen Restnutzungsdauer von 10 Jahren dürfte solch ein Umbau aus VCD-Sicht letztendlich nicht aufwändiger sein als die absehbaren Instandhaltungsmaßnahmen aufgrund der erhöhten Belastungen.
Auszug aus dem EBA-Untersuchungsbericht v. 8.4.2014
(Hervorhebungen durch den VCD):
Die im Zuge der gleisgeometrischen Prüfung vom 11.05.2009 erteilten Auflagen wurden durch die DB Netz AG nicht vorgelegt, diesbezüglich jedoch ausgeführt, dass die Auflagen nicht die Weichen 211, 218, 227 oder 228 sondern die Weichen 78, 79 und 323 betreffen würden. Eine eigene objektive Überprüfung konnte nicht erfolgen. Unabhängig der Fragestellung, ob es sich bei der erstellten Ausfahrzugstraße um einen Neubau, Bauzustand, eine wesentliche Änderung/Erneuerung oder einen späteren Umbauzustand handelt, fällt bei der Trassierung auf, dass in diversen Punkten von den Regelwerten/ Soll-Vorgaben abgewichen wurde. Dies trifft insbesondere auf die Punkte
- Gleisbogenradius
- Längsneigung
- Länge von (Zwischen-) Geraden
- Einbau von Kreuzungsweichen (Endneigung 1:7,5, d.h. mit gebogenen Herzstücken)
- im Hauptgleis mit r0 < 300 m
… Die Durchsicht der vorliegenden Weichenprüfblätter ergab, dass zur Inspektion innerhalb der zulässigen Inspektionsfristen falsche Prüfblätter verwendet wurden.
Wie die Auswertung der Messschriebe ergab, wurden SR 100 und SR Lim Abweichungen aufgezeichnet, die in Abhängigkeit der Fehlerentwicklung bis zur nächsten Regelinspektion oder bei Überschreitung des Grenzwertes (setzt eine Überwachung der Fehlerentwicklung voraus) zu beseitigen sind. Wie dem Gesamtsignal Gleislage zu entnehmen war, zeigte dieses gesamthafte SR 100 Überschreitungen auf, die sich negativ hinsichtlich der Entgleisungssicherheit auswirken können. Mit der Inkaufnahme eines höheren Verschleißes sind grundsätzlich eine zügigere Verschlechterung der Gleislagestabilität und ein damit einhergehender größerer Instandhaltungsaufwand verbunden. Die Überprüfung der Instandhaltung ergab weiterhin, dass die Zugfahrt am 24.07.2012 aufgrund eines Weichenfehlers entweder nicht oder nur nach Einrichtung einer Langsamfahrstelle mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h hätte ausfahren dürfen. Auch wenn der zulässige Wert lediglich um einen zehntel Millimeter überschritten wurde, wäre dies gemäß dem internen Regelwerk die formal richtige Vorgehensweise gewesen.
Die maximale Ausnutzung möglicher Trassierungselemente sowie deren Überlagerung bzw. Konzentration in einem örtlich eng begrenzten Bereich bedingte hinsichtlich der Gestaltung der Ausfahrzugstraße aus Gleis 10 bei den Parametern Gleis/Weichenradien, Längsneigung, Länge von (Zwischen-) Geraden und Einbau von steilen Kreuzungsweichen ein Abweichen von den Regelwerten/Soll-Vorgaben. Diese Abweichungen sind durch das interne Regelwerk grundsätzlich legitimiert und offensichtlich insbesondere wirtschaftlichen Erwägungen geschuldet. Festzuhalten ist, dass mit der Ausnutzung dieser Trassierungsbereiche grundsätzlich ein höherer Verschleiß und eine geringe Lagestabilität verbunden sind, letztlich höhere Kräfte im System auftreten und in Kauf zu nehmen sind. Durch Überlagerung bzw. Konzentration dieser Trassierungselemente in einem örtlich eng begrenzten Bereich verstärkt sich dieser Effekt. Wäre der S-Bogen mit einfachen Weichen mit geraden Herzstücken trassiert worden, hätte sich hierdurch die „Zwischengerade“ verlängert und sich die dynamischen Beanspruchungen in den Radlenkern verringert. Auch durch die Wahl generell größerer Radien oder längerer Zwischengeraden, wäre eine maßgebliche Beruhigung der Fahrzeuge beim Durchfahren des S-Bogens zu erzielen.
…
Durch eine konsequentere Trassierung mit Regelwerten und Sollvorgaben und damit einhergehend stärkerer Reglementierung von Abweichungen insbesondere deren Überlagerungen, ließe sich die Eisenbahnsicherheit erhöhen….
Quelle: EBA-Untersuchungsbericht PDF, 1.2MB
Weitere Informationen zu Stuttgart 21
Wollen Sie diese Pressemitteilung kommentieren? Im VCD-Blog haben Sie Gelegenheit dazu: