Stuttgart 21: VCD prognostiziert finanzielles Desaster
Presseinformation Nr. 15/2007, Stuttgart, 09. Mai 2007
Verkehrsclub bemängelt falsche Weichenstellung in der Verkehrspolitik – Pendler haben das Nachsehen
Mit scharfer Kritik hat der Umwelt- und Verbraucherverband Verkehrsclub Deutschland (VCD) auf die angekündigte Aufstockung der Landesmittel für Stuttgart 21 und für den Landesstraßenbau reagiert. Besonders unverständlich seien beide Entscheidungen vor dem Hintergrund, dass zum Fahrplanwechsel am 10. Juni zahlreiche Zugverbindungen wegen angeblichen Geldmangels entfallen würden. Für das Städtebauprojekt Stuttgart 21 prognostizierte der VCD ein finanzielles Desaster und bemängelte versteckte Kosten für die öffentlichen Haushalte, die nicht diskutiert würden.
„Viele Pendler müssen ab dem 10. Juni vom Zug aufs Auto umsteigen, weil die Landesregierung Nahverkehrszüge im Wert von 15 Millionen Euro nicht mehr bezahlen will“, beklagte der VCD-Landesvorsitzende Matthias Lieb. „Gleichzeitig stockt das Land die Mittel für den Landesstraßenbau um 15 Millionen Euro, die Mittel für das Städtebauprojekt Stuttgart 21 sogar um 150 Millionen Euro auf. Das hat mit nachhaltiger Verkehrspolitik nichts zu tun.“ Den Bus- und Bahnfahrern im Land sei nicht zu vermitteln, warum ein funktionierendes Nahverkehrssystem zu Gunsten eines Prestigeprojekts stark beschädigt würde.
Die Finanzierung von Stuttgart 21 lässt nach Ansicht des VCD jedes Augenmaß vermissen. Bei prognostizierten Baukosten in Höhe von 2,8 Milliarden Euro betrage der Anteil der Deutschen Bahn AG nur noch 1,3 Milliarden Euro, wovon etwa 500 Millionen Euro schon durch die Grundstückskäufe von der Stadt Stuttgart übernommen worden seien. Bei einem DB-Anteil von nur noch 800 Millionen Euro solle der Steuerzahler also über 70 Prozent der Baukosten übernehmen. VCD-Vorsitzender Matthias Lieb erklärte: „Bedauerlicherweise gibt es keine aktuellen, volkswirtschaftlichen Berechnungen über die Baumaßnahme Stuttgart 21 . Dies ist ein klarer Verstoß gegen die Haushaltsordnungen, die den Einsatz von Steuergeldern an den Nachweis der Wirtschaftlichkeit knüpfen.“
Der VCD bemängelt, dass beim Projekt Stuttgart 21 Wirtschaftlichkeit nicht durch ein ausgewogenes Kosten-Nutzen-Verhältnis hergestellt werde, sondern nur durch immer weiter steigende Kostenanteile für die öffentlichen Haushalte. Gleichzeitig würden versteckte Kosten des Projektes Stuttgart 21 aus der öffentlichen Diskussion gehalten, um das vom VCD erwartete finanzielle Desaster vor der endgültigen Entscheidung für oder gegen Stuttgart 21 zu verschleiern.
So habe die Stadt Stuttgart durch die Grundstückskäufe nicht nur das Vermarktungsrisiko für die frei werdenden Flächen übernommen. Sie müsse die bisher bezahlten 460 Millionen Euro auch verzinsen. Da ein erster Grundstücksverkauf nicht vor 2020 möglich sei, fielen für mindestens 20 Jahre Zinskosten an. VCD-Vorsitzender Matthias Lieb: „Nimmt man einen Zinssatz von 5 Prozent an, so wird die Landeshauptstadt durch die Grundstückskäufe mit fast 500 Millionen Euro an Zinskosten belastet. Davon sprechen bisher leider weder Oberbürgermeister Schuster noch Ministerpräsident Oettinger.“
Als weitere versteckte Kosten nannte der VCD den langlaufenden Verkehrsvertrag, den das Land mit der DB abgeschlossen habe, als diese die Planungen für das Projekt Stuttgart 21 einstellen wollte. So bezahle das Land für den Schienennahverkehr im Land an die DB mindestens 40 Millionen Euro pro Jahr mehr als eigentlich notwendig. Über die Vertragslaufzeit von 2002 bis 2016 ergebe sich so eine Gesamtsumme in Höhe von 600 Millionen Euro, die zwar wegen des Prestigeprojekt Stuttgart 21 anfielen, in dessen Finanzierung aber nicht berücksichtigt seien.
Angesichts dessen, dass der Bahnhofsneubau eigentlich eine Aufgabe der Bahn sei, und der Bau der Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm eine Bundesaufgabe, sei es verwunderlich, dass sich jetzt die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg um die Finanzierung streiten müssten. VCD-Vorsitzender Matthias Lieb sagte: „Insgesamt fallen für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke nach Ulm mehr als 8 Milliarden Euro an Kosten an, wobei der Anteil von Stadt, Land und Region bei über 4 Milliarden Euro liegen soll. Dem steht kein überprüfter Nutzen gegenüber. Die Politik stellt verantwortungslos einen Blankoscheck aus, den der Steuerzahler finanzieren soll.“ Der VCD fordert das sofortige Ende von Stuttgart 21 und eine Verkehrspolitik, die dem öffentlichen Nahverkehr im ganzen Land nutzt.
Aus Sicht des VCD ergeben sich folgende Kosten für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm (Angaben in Euro):
Baukosten Stuttgart 21 | 2.800.000.000 | Anteil Deutsche Bahn AG | 800.000.000 |
Anteil Bund | 500.000.000 | ||
Anteil Stadt, Land, Region | 1.500.000.000 | ||
Baukosten Neubaustrecke | 2.200.000.000 | Anteil Bund | 2.000.000.000 |
Vorfinanzierung NBS | 1.000.000.000 | Anteil Land | 1.000.000.000 |
Anteil EU | 200.000.000 | ||
Baukostenrisiken | 1.000.000.000 | Anteil Deutsche Bahn AG | 200.000.000 |
Anteil Stadt, Land | 800.000.000 | ||
Mehrkosten Verkehrsvertrag | 600.000.000 | Anteil Land | 600.000.000 |
Zinskosten Grundstückskauf | 500.000.000 | Anteil Stadt Stuttgart | 500.000.000 |
Summe Kosten | 8.100.000.000 | Summe Stadt, Land, Region | 4.400.000.000 |
Weitere Informationen
Informationen des VCD zu Stuttgart 21 und Vorstellung des Alternativkonzept Kopfbahnhof 21 :