VCD fordert Stresstest für S21
Presseinformation Nr. 31/2010, Stuttgart, 19. August 2010
Nachweis der Leistungsfähigkeit für das System S21 steht trotz Baubeginn immer noch aus
Der ökologische Verkehrsclub e.V. (VCD) fordert einen Stresstest für Stuttgart 21, mit dem nachgewiesen werden soll, welche Kapazitätsreserven das System Stuttgart 21 überhaupt noch besitzt. Denn die in der SMA-Studie zu S21 aufgeführten, zahlreichen Engpässe stellen nach Ansicht des VCD-Landesvorsitzenden Matthias Lieb insgesamt den Nutzen des Projektes in Frage.
„Es ist ein eklatanter Mangel der Planung von Stuttgart 21, dass eine praxisnahe Prüfung der Leistungsfähigkeit des Systems nie durchgeführt wurde“, erklärt Klaus Arnoldi, Vorstandsmitglied und Bahnexperte des VCD Landesverbandes. Die von Ministerin Gönner durchgesetzten Nachbesserungen – die zweigleisige Tunnelführung zwischen Hauptbahnhof und Flughafen sowie der Einbau eines leistungsfähigeren Signalsystems – seien letztlich nicht ausreichend, um die Defizite der zu knapp ausgelegten Infrastruktur von S21 für zukünftige Verkehrssteigerungen zu beheben, befürchtet Arnoldi.
Während SMA gerade mit der Wendlinger Kurve und der Anbindung der beiden Flughafen-Bahnhöfe massive Engpässe identifiziert habe, wurden bei einer Untersuchung durch das verkehrswissenschaftliche Institut Stuttgart (Prof. Martin) im Jahr 2005 gerade diese Streckenabschnitte nicht untersucht, so der VCD. Nur so habe damals vor Gericht eine höhere Leistungsfähigkeit von S21 im Vergleich zum modernisierten Kopfbahnhof rechnerisch nachgewiesen werden können, kritisiert Klaus Arnoldi die damaligen Gutachter. „Hätte die SMA-Studie damals den Richtern vorgelegen, wäre S21 vor Gericht gescheitert“, ist sich Klaus Arnoldi sicher.
Nach Einschätzung des VCD sei angesichts der vorliegenden Erkenntnisse zu vermuten, dass S21 dem zukünftigen Verkehr nicht gewachsen und ein Kollaps des Gesamtsystems bei nur geringen Störungen zu erwarten sei. Ein unabhängiges, erfahrenes Eisenbahninstitut müsse deshalb einen Stresstest, vergleichbar dem der Banken, durchführen, erklärt der Bahnexperte. Bewertet werden müssten laut Arnoldi unter anderem, welche Kapazitätsreserven im Vergleich zur Angebotskonzeption 2020 je Streckenabschnitt sowie beim Gesamtsystem S21 bestehen und wie dieses im S-Bahn-Notfallbetrieb reagiert.
„Mit Stuttgart 21 werden nicht nur alte Gleisanlagen im Kopfbahnhof abgeräumt, sondern auch bestehende Zulaufstrecken demontiert. So steht der Fildertunnel nicht allein der Magistrale für Europa zur Verfügung, sondern muss zusätzlich den gesamten Verkehr der Gäubahn aufnehmen sowie die schnellen Verbindungen nach Tübingen“, führt der VCD-Landesvorsitzende Matthias Lieb aus.
Lieb weiter: „Ähnlich dicht wird sich der Verkehr auf der Magistrale von Zuffenhausen bis zum Hauptbahnhof drängeln, nachdem die viergleisige Stammstrecke auf nur noch zwei durchgängig bis zum Hauptbahnhof nutzbare Gleise eingeschränkt wird.“ Könnten Regionalzüge bislang auch die S-Bahn-Gleise nutzen, müssten bei S21 die Regionalbahnen von Würzburg/Heilbronn und von Karlsruhe/Heidelberg die Magistrale mit den Fernzügen teilen, erläutert Matthias Lieb.
Im Falle von Störungen bei der S-Bahn, der tragenden Säule des Nahverkehrs in der Region Stuttgart, seien die Engpässe von Stuttgart 21 besonders problematisch, sagt Arnoldi. Denn weder der Kopfbahnhof noch die Gäubahn stünden bei S21 als Ausweichstrecken zur Verfügung, so der VCD. Ein Problem, das der Verkehrsclub bereits vor einem Jahr am 03.08.2009 in einer Pressekonferenz thematisiert hatte und für das die Planer von S21 bis heute keine wirklich überzeugende Lösung präsentieren konnten.
Aus Sicht des VCD würde ein Stresstest aufzeigen, dass weitere Nachbesserungen am Projekt zwingend notwendig seien. Um den Regionalverkehr durch den Eisenbahnknoten Stuttgart zu führen, wären zusätzliche Gleise neben der Magistrale für Europa notwendig, erläutert der VCD. Bereits 1997 hatte Prof. Schwanhäuser von der TU Aachen bei seiner Begutachtung der Magistrale vorgeschlagen, die Stammstrecke von Kornwestheim bis zum Hauptbahnhof – die sogenannte P-Option – beizubehalten, erklärt Arnoldi und ergänzt:
Gleiches wäre auch für die Gäubahn notwendig, die ab der Rohrer Kurve auf einem eigenen Gleis zum Hauptbahnhof geführt werden müsste.
„Ohne dass der Hochgeschwindigkeitsverkehr und der regionale Verkehr wirksam entmischt werden, wird mit Stuttgart 21 ein Engpass im Schienenverkehr geschaffen, der erhebliche Nachteile für die Stadt und die Region mit sich bringt“, so das Fazit des Bahnexperten. Aber auch die Neubaustrecke (NBS) nach Ulm ist ab Wendlingen aufgrund ihrer Streckenführung mit langen Steigungen nicht zukunftsfähig. Nur zwei für den Güterverkehr aufgrund ihrer Steigung untaugliche Strecken stünden dem im Entwurf des Generalverkehrsplans prognostizierten Zuwachs in diesem Segment zur Verfügung, gibt Arnoldi zu Bedenken. „Der DIHK forderte deshalb bereits zusätzlich zur NBS einen flachen Güterzugtunnel für 600 Mio. Euro als Bypass zur Geislinger Steige.“1
„Mit Stuttgart 21 entsteht im Bahnverkehr ein Flaschenhals, der später nicht mehr korrigiert werden kann“, sagt Arnoldi. „Stuttgart 21 ist nicht in der Lage, den bestehenden Schienenverkehr mit einer hinreichenden Betriebsqualität abzuwickeln, noch weniger zusätzliche Verkehr aufzunehmen. Stuttgart 21 ist nicht zukunftssicher, trotz einer Investition von 4,9 Milliarden!“ erklärt Arnoldi abschließend.
1http://www.dihk.de/inhalt/download/bahnpolitik_gutachten.pdf
Anlagen
- Anschreiben an Ministerin Gönner v. 13.08.2010
- Anlage zum Anschreiben an Ministerin Gönner v. 13.08.2010
- Präsentation VCD Stresstest für S21 v. 19.08.2010
- Grafik Linienverlauf Bahnknoten Stuttgart 2009
- Grafik S21 und Magistrale für Europa Linienverlauf
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